
Material ist nie neutral. Es ist mehr als Oberfläche, mehr als Textur, mehr als technischer Baustoff. Material ist ein Träger von Atmosphäre, Herkunft, Identität – und oft auch von Erinnerung. Es prägt Räume nicht nur physisch, sondern emotional.
Für uns ist Materialwahl ein zentraler Bestandteil des architektonischen Entwurfsprozesses. Es geht nicht um dekorative Wirkung, sondern um Gestaltung mit Substanz. Wir wählen Materialien, die ehrlich, robust und kontextbezogen sind – und mit dem Raum „sprechen“, statt ihn zu überlagern.
Materialien sind Teil der Erzählung
Jedes Material erzählt eine Geschichte. Holz wirkt warm und organisch, Beton roh und kraftvoll, Ziegel vertraut und geerdet, Glas leicht und offen. Diese Wirkung ist kulturell geprägt – aber auch räumlich steuerbar.
Wenn wir mit Materialien arbeiten, verstehen wir sie als aktive Elemente des architektonischen Ausdrucks:
- Ein Sichtbetonwand kann Stabilität ausstrahlen – oder Kälte, je nach Kontext und Detail.
- Eine Holzdecke kann Geborgenheit erzeugen – oder visuell belasten, wenn sie nicht im richtigen Maß eingesetzt wird.
- Eine keramische Oberfläche kann technische Präzision zeigen – oder eine handwerkliche Tiefe vermitteln.
Material ist nicht nur was gebaut wird, sondern wie sich ein Raum anfühlt.
Materialwahl ist immer eine Haltung
Wir wählen Materialien nicht nach optischem Effekt, sondern nach:
- Funktionaler Eignung: Was wird beansprucht, was muss altern, was darf patinieren?
- Atmosphärischer Wirkung: Welches Gefühl soll ein Raum auslösen?
- Herkunft und Nachhaltigkeit: Wo kommt das Material her? Wie ist es verarbeitet? Welche Ökobilanz bringt es mit?
- Ehrlichkeit: Ist das, was sichtbar ist, auch das, was trägt? Gibt es Täuschungen (z. B. Imitationen)? Wir vermeiden sie bewusst.
Unsere Haltung ist klar: Wir bevorzugen Materialien, die altern dürfen – nicht solche, die altern müssen.
Material im Dialog mit Licht und Raum
Material und Licht stehen in enger Wechselwirkung. Die Lichtaufnahme eines hellen Kalkputzes unterscheidet sich grundlegend von der Tiefenwirkung eines dunklen Eichenholzes.
Glänzende Oberflächen reflektieren, matte absorbieren. Grobe Texturen werfen Schatten, glatte lösen sich fast auf.
Wir planen diese Effekte nicht zufällig, sondern gezielt:
- In einem Lernraum kann eine helle, ruhige Materialpalette mit diffuser Lichtführung die Konzentration unterstützen.
- In einem Eingangsbereich kann die Kombination aus rauem Naturstein und präzisem Streiflicht Orientierung und Präsenz erzeugen.
- In einem Wohnprojekt nutzen wir Holz, Lehmputz oder textilen Schallschutz, um wohnliche Haptik, Akustik und Lichtqualität zu verbinden.
Das Material gestaltet mit, nicht nur die Wand.
Details sind Sprache
Die Haltung zum Material zeigt sich besonders im Detail. Wird eine Fuge sichtbar gemacht oder kaschiert?
Ist ein Übergang hart oder weich, scharf oder fließend? Wird ein Material in Masse oder nur als Oberfläche eingesetzt?
Gute Detaillierung gibt dem Material Raum zum Atmen. Sie zeigt Respekt vor der Substanz – und sorgt dafür, dass sich die Architektur nicht in Form, sondern in Wertigkeit und Dauer zeigt.
Ein typisches Beispiel für unseren Umgang mit Material ist die Kombination aus gegensätzlichen Oberflächenqualitäten: Ein unbehandelter, rauer Werkstoff – etwa Stahl mit sichtbaren Verbindungen oder handwerklicher Struktur – trifft auf präzise ausgearbeitete, warme Elemente wie Holzverkleidungen, glatte Bodenflächen oder textile Akzente.
Dieser Kontrast schafft Spannung, aber auch Balance. Der Raum wirkt kraftvoll und ehrlich, ohne kühl oder abweisend zu sein. Das Spiel zwischen roher Struktur und feiner Verarbeitung verleiht ihm Charakter – architektonisch präzise, atmosphärisch dicht. Solche Kombinationen entstehen nicht spontan, sondern sind Ergebnis eines abgestimmten Entwurfs- und Materialdialogs.
Materialien schaffen Erinnerung
Material ist das, was bleibt. Wenn Licht gegangen ist, wenn der Raum verlassen ist – die Haptik einer Oberfläche, der Klang von Schritten auf dem Boden, der Geruch von Holz – all das speichert sich tief in der Erinnerung.
Deshalb achten wir darauf, dass die von uns eingesetzten Materialien nicht nur heute überzeugen, sondern auch in 10, 20 oder 50 Jahren noch Bestand haben – funktional wie atmosphärisch.
Materialwahl ist keine Stilfrage – sie ist eine Frage der Haltung. Wer Materialien wirklich ernst nimmt, entscheidet sich für Qualität, Dauerhaftigkeit und eine Architektur, die sich nicht durch Effekte, sondern durch Substanz behauptet. Wir lassen Material sprechen. Und gestalten Räume, die nicht nur sichtbar, sondern spürbar sind.
Im nächsten Beitrag erfahren Sie, warum Ordnung und Klarheit im Raum keine Einschränkung, sondern die Grundlage gestalterischer Freiheit sind.
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