"Stellplatzsatzung im Fokus: Zeit für eine kritische Neubewertung!"
Ein Beitrag von Majeed Shams und Leonie Ries
Frankfurt am Main, Januar 2024
Die Debatte um die Stellplatzsatzung hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Als Architekt und damit Planverfasser von Bauanträgen, sowie ehemaliger Prüfer der Bauanträge als Angestellter im Bauamt, erlebte die Auswirkungen dieses Instruments sehr intensiv.
Dieser Artikel reflektiert meine persönlichen Beobachtungen und zielt darauf ab, die Leser zum Nachdenken zu bringen und Diskussionen über die Sinnhaftigkeit der Stellplatzsatzung anzuregen. Die potenziell negativen Auswirkungen dieses Instruments könnten erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden im Bausektor verursachen. Unmittelbar betroffen sind sowohl die Bauwilligen, als auch die Genehmigungsbehörden. In den Zeiten von volatilen Bauzinsen und höherer Inflationsraten wird die Realisierung von Bauprojekten zusätzlich erschwert, bis eine Klärung der Stellplatznachweise mit den Gemeinden und eine verzögerte Baugenehmigung erfolgen. Dies kann in vielen Fällen sogar unmöglich werden, da durch die langwierigen Genehmigungsverfahren die wirtschaftliche Kalkulation der Projekte erheblich beeinträchtigt wird.
Viele Gemeinden im Land Hessen regeln das Thema Parkierung über eine Satzung namens „Stellplatzsatzung“. Die Anforderung der Gemeinden variieren hinsichtlich der Anzahl der erforderlichen Stellplätze. Zum Beispiel wird für den Wohnungsbau oft ein Bedarf von 1,5 bis 2,0 Stellplätzen pro Wohneinheit festgelegt.1 Besonders unübersichtlich werden die Anforderungen bei den Nicht-Wohngebäuden. Diese Zahlen basieren nicht auf technischen oder statistischen Prognosen, sondern sind vielmehr Erfahrungswerte, die in manchen Fällen erheblich von dem tatsächlichen Bedarf abweichen können.
Die wachsende Verkehrsbelastung in den Städten und der zunehmende Platzmangel machen eine kritische Überprüfung der Stellplatzsatzung erforderlich. Zusätzlich dazu, wurde die Anforderung festgelegt, dass eine bestimmte Anzahl dieser Stellplätze mit Ladestationen für Elektroautos ausgestattet werden muss. Im Jahr 2020 hat das hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie und Verkehr eine Verordnung über die Anforderungen an Fahrradabstellplätze verabschiedet. Nach dieser Verordnung müssen zusätzliche Abstellplätze für Lastenfahrräder (jeweils 0,90mx2,75m, etwa die Hälfte eines PKW-Stellplatzes) für Neubauten berücksichtigt werden. Die Verordnung ist bis Ende 20272 gültig, doch viele Gemeinden setzen sie nicht um.
Die strengen Vorgaben verhindern zeitgemäßes Mobilitätsverhalten und verhindern eher, dass alternative Verkehrsmittel bei der Ermittlung berücksichtigt werden.3 Die Stellplatzproblematik erzwingt Bauwillige zu einer „umgekehrten Planung“: Ausgehend von der nachweisbaren Anzahl der Stellplätze werden die Wohneinheiten festgelegt. Dies führt zu größeren und nicht marktgerechten Wohnungsgrößen. Besonders problematisch wird ein Stellplatznachweis bei Nutzungsänderungen, Anbauten und Aufstockungen. In den meisten Fällen kann kein zusätzlicher Stellplatz für den Mehrbedarf nachgewiesen werden, was dazu führt, dass viele nachhaltige Projekte scheitern und das Leitbild einer nachhaltigen städtebaulichen Nachverdichtung nicht erreicht wird. Der Bau von Stellplätzen und Tiefgaragen verursacht zudem zusätzliche Kosten, die sich auf die Mieten auswirken.4
Das erwartete Bevölkerungswachstum von über 4% bis 2030 steht im starken Gegensatz zu der Prognose von 74.000 Wohnungen im Vergleich zu einem vermuteten Ist-Bestand von 72.000.5 Diese Diskrepanz wirft Fragen auf, insbesondere wenn leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden können, weil nicht genügend Stellplätze vorhanden sind. Die starren Vorgaben der Stellplatzsatzung scheinen in vielen Fällen nicht mehr zeitgemäß und angemessen zu sein.
Es wird Zeit, alternative Lösungsansätze zu finden. Die Stellplatzsatzung sollte flexibler gestaltet und stärker an lokale Rahmenbedingungen angepasst werden. Konzepte wie die Definition von Zonen mit qualitativ hochwertiger Erschließung, ein qualifiziertes Mobilitätskonzept auf Quartiersebene mit dem Fokus auf Fahrradstellplätze und „Sharing“ Angebote könnten zeitgemäße Alternativen bieten.6 Auch die Einführung einer Stellplatzbauobergrenze oder der Verzicht auf feste Zuordnung bei Mehrfachnutzung sind überlegenswerte Optionen.7
Obwohl alternative Konzepte mit einem gewissen Prüfaufwand der Verwaltung verbunden sind, ist nicht von der Hand zu weisen, dass sie einen reduzierten Stellplatzschlüssel, flächeneffizientes Bauen, eine verbesserte ÖPNV-Erschließung und kürzere Wege als großen Vorteil bringen würden, was letztendlich auch zur Verringerung der KfZ-Nutzung beitragen könnte.8
Meine „Insider-Informationen“ aus der Verwaltung verdeutlichen zusätzlich, dass die starren Vorschriften Gemeinden in eine Art „Dilemma“ stürzen, sowohl seitens der Bauwilligen als auch seitens der Verwaltung. Sogar die Umsetzung städtischer und öffentlicher Projekte wird aufgrund der strikten Einhaltung von Stellplatzsatzungen erschwert. Die Gemeinden haben Schwierigkeiten, aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes und der Notwendigkeit, Satzungen und Verordnungen gleichermaßen anzuwenden, eine ausgewogene Umsetzung zu gewährleisten. Möglicherweise werden Stellplatzsatzungen sogar als politisches Instrument genutzt, um unerwünschtes Bauvorhaben zu verhindern.
Diese Erkenntnisse werfen ein zusätzliches Licht auf die bestehenden Probleme der Stellplatzsatzung. Abschließend plädiere ich dafür, die Stellplatzsatzung nicht als statisches Instrument zu betrachten, sondern als dynamische Regelung, die sich den zeitgemäßen Herausforderungen und dem modernen Mobilitätsverhalten anpasst. Eine Neugestaltung der Stellplatzsatzung ist im Interesse der Wohnraumschaffung, einer nachhaltigen Verkehrswende im Gesamten und letztendlich für die Gesellschaft dringend erforderlich.
Wir als Planungsbüro für Architektur und Stadtplanung möchten mit diesem Beitrag die Bauwilligen, Kommunen und die Politik konstruktiv unterstützen und unser gesellschaftliches Engagement zum Ausdruck bringen.
Autor:
Majeed Shams ist Freier Architekt und Stadtplaner sowie Inhaber des Planungsbüros Shams Consult für „Innovation und Kreativität“ mit Sitz in Rödermark bei Frankfurt am Main. Neben seiner Tätigkeit als freiberuflicher Architekt und Stadtplaner ist er ehrenamtlicher Lehrbeauftragter für Architektur und Städtebau an der University of Applied Sciences Frankfurt UAS. Vor der Gründung seines eigenen Büros arbeitete er über 5 Jahre bei den Bauämtern in Karlsruhe, Weinstadt und Stadt Dieburg sowie mehr als 3 Jahre als CIM-Experte Stadt- und Regionalplaner für die GiZ, das BMZ und das Auswärtige Amt im Ausland.
Redaktion:
Leoni Ries absolvierte das Studium Baukulturerbe an der Hochschule Rhein-Main und ist derzeit im Planungsbüro Shams Consult in Rödermark bei Frankfurt am Main tätig.
Literatur
Bayrisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, Hrsg. „Mobilitätskonzept in neuen Wohnquartieren“, Januar 2022., https://www.stmb.bayern.de/assets/stmi/buw/staedtebaufoerderung/220507_endbericht_mobilitaetskonzepte_in_neuen_wohnquartieren.pdf
Bürgerservice Hessenrecht,
(2020). FStellplV HE, Landesnorm Hessen, Gesamtausgabe, Verordnung über die Anforderungen an Abstellplätze für Fahrräder (Fahrradabstellplatzverordnung) ..., gültig ab: 01.11.2020, gültig bis: 31.12.2027.
https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/jlr-FStellplVHE2020pP1

Carsten Sommer, Ramón Briegel, Jonas Harz, und Marissa Reiserer. „Handlungsleitfaden zur Klimaneutralität im Bereich Mobilität für die Stadt Kassel“. Herausgegeben von Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme der Universität Kassel, 2023. https://kobra.uni-kassel.de/bitstream/handle/123456789/14767/SommerBriegelHarzReisererHandlungsleitfadenZurKlimaneutralitaetMobilitaetKassel.pdf?sequence=4&isAllowed=y
Martin Vaché und Markus Rodenfels. „Wohnungsbedarfsprognose für die hessischen Landkreise und kreisfreien Städte bis 2040“, 15. Januar 2020. https://wirtschaft.hessen.de/sites/wirtschaft.hessen.de/files/2021-07/wohnungsbedarfsprognose_2020.pdf
„Stellplatzsatzung der Stadt Dieburg“, 20. Dezember 2018. https://www.dieburg.de/pdf-downloads/stellplatzsatzung.pdf?cid=vv
Kontakt:
Architekturbüro Shams Consult
Architektur und Stadtplanung
Dipl.-Ing. (FH) Majeed Shams M.Eng.
Freier Architekt und Stadtplaner
Carl-Zeiss-Str.43
63322 Rödermark
office@shams-consult.de
Diesen Artikel können Sie online als PDF
abrufen, unter:
https://www.shams-consult.de/forschung/
© 2024 Majeed Shams
Thema der Bachelor-Arbeit:
Analyse und Optimierung der Prozesse der Mängelvermeidung und Mängelbearbeitung bei Bauprojekten unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte
Analysis and optimization of the processes of defects and dealing With defects in construction projects, taking economic aspects into accent
B.Eng. Herr Firat. Y WS 23
Betreuer: Hr. Prof. Dr.-Ing. Jörg Huth
Hr. Dipl.-Ing. (FH) Majeed Shams M.Eng.
Thema der Bachelor-Arbeit:
Baukostenmanagement während der Covid-19-Pandemie mit erheblicher Baupreiserhöhung am Fallbeispiel Neubau eines Mehrfamilienhauses mit einer Tiefgarage in Dreieich.
B.Eng. Frau Selina Ö. SS 2022
Betreuer: Hr. Prof. Dr.-Ing. Mathias Rohde,
Hr. Dipl.-Ing. (FH) Majeed Shams M.Eng.
Thema der Bachelor-Arbeit:
Die Gegenüberstellung von zwei kernsanierten Wohnobjekten unter verschiedenen Auftraggebern
Gegenüberstellung der Baukosten in unterschiedlichen Zeiten während der Corona Pandemie am Beispiel eines Mehrfamilienhauses mit einer Tiefgarage
B.Eng. Frau Aydan D. WS 2022
Betreuer: Hr. Prof. Dr.-Ing. Mathias Rohde,
Hr. Dipl.-Ing. (FH) Majeed Shams M.Eng.
Thema der Bachelor-Arbeit:
Auswertung der Bausubstanz und der Entscheidungsfindung (Sanierung versus Abriss) am Fallbeispiel eines Zweifamilienhauses in Rödermark
Building Evaluation and Decision Making (Restoration versus Demolition), Case Study: 2 Family House in Rödermark
B.Eng. Frau Zinat A. WS 2020/21
Betreuer: Hr. Prof. Dr.-Ing. Mathias Rohde,
Hr. Dipl.-Ing. (FH) Majeed Shams M.Eng.
Thema der Masterarbeit:
Fruchtbare Mullis Elsdorf
Quartierentwicklung, Agro-urbane Siedlungsmodell, Transformation eines dynamischen Masterplanes in Elsdorf bei Düsseldorf
Betreuerin: Prof. Dipl.-Ing. Isabel Maria Finkenberger
Grundlagen der Stadtplanung, urbane Transformation und innovative Prozessgestaltung, SS 2021
Verfasserin: M.Eng. Frau Rebecca Granderath
Coaching: Hr. Dipl.-Ing. (FH) Majeed Shams M.Eng.
Thema der Masterarbeit:
Stadtentwicklungskonzept Dieburg
Innovative Ansätze für die Entwicklung einer historischen Stadt, Masterthesis im Studiengang Umweltmanagement und Stadtplanung in Ballungsräumen UAS Frankfurt
M.Eng. Frau Nicol T. und Frau M.Eng. Piera W. , SS 2020
Betreuer: Hr. Prof. Dr.-Ing. Michael Peterek,
Hr. Dipl.-Ing. (FH) Majeed Shams M.Eng.